FANTASIA - RECITATIVO QUASI UNA DANZA
für Klavier und Orchester
Jedes Werk von Alberto Bruni Tedeschi basiert auf dem Handwerk ästhetischen Glaubens: für ihn bedeutet der Kontrapunkt das Essenzielle der musikalischen Schöpfung und den Stein des Anstoßes seiner Phantasie als Komponist. Die Harmonie bleibt Untertan des Kontrapunktes und der Lyrismus eine Konsequenz, die der Übereinanderlegung melodischer Linien innewohnt.
In diesem Zusammenhang ist der Modernismus von Bruni Tedeschi ohne Zweifel als Reaktion gegen drei Jahrhunderte italienischer Musik anzusehen, die die Melodie als solche bevorzugt.
Was seine atonale Sprache betrifft, so muß man sie weniger als ein Ablehnen der tonalen Gesetze betrachten, sondern vielmehr als eine Überwindung, die durch die besonderen Bedürfnisse einer ohne fixes thematisches Material auskommenden Strukturierung begründet ist, wo jede musikalische Zelle die Möglichkeit hat, die folgende zu befruchten, wie durch spontanes Keimen.
So bleibt eine große Form- und Sprachfreiheit in seinen Werken, die im Dienste einer extremen Strenge des Schreibens steht.
Fügen wir hinzu, daß ähnlich wie Stravinsky, Alberto Bruni Tedeschi der Musik eine Macht der Bedeutung außerhalb des anektodischen Kontextes, den man ihr unterschieben kann, wenn es um die Illustrierung einer musikalischen Aktion geht, abspricht. Diese Tatsache mag umso erwähnenswerter erscheinen, als Bruni Tedeschi der Autor mehrerer Opern un Ballette ist.
Diese Fantasia für Klavier und Orchester ist im übrigen sein erstes konzertantes Werk. Trotz großer pianistischer Schwierigkeiten ist es sicherlich alles andere als ein Bravourstück im Dienste des Solisten. Man kann sogar sagen, daß in diesem Werk, welches eine kammermusikalische Form des Orchesters benützt (doppeltes Holz, eine Trompete, zwei Hörner, Pauken und Streicher), das Klavier den primus inter pares einnimmt.
Seine expressiven Möglichkeiten, sein reiner Lyrismus treten nur in den übrigens sehr ausgefeilten Kadenzen in den Vordergrund, die als Oasen der reinen Melodie im Herzen eines Ensembles erscheinen in welchem das Spiel der Klangfarben, die rythmischen Kontraste und die dynamischen Gegensätze sich in einer komplexen Polyphonie integrieren.
Es kommt auch vor, daß die Partitur anderen Instrumenten eine momentane Vorherrschaft gibt: so taucht z. B. ein Blasinstrument plötzlich aus dem sonoren Vortrag auf, dem es seine ihm eigene Farbe hinzufügt, gleich einem Beleuchtungswechsel, der zur Klarheit der Textur des Kontrapunktes beiträgt. Was den Titel des Werkes Fantasia, recitativo quasi una danza betrifft, so beschreibt es sehr gut die freie Inspiration, die die Basis dieser strengen Architektur bildet. Der Komponist nimmt sich zunächst vor, nach seiner Phantasie zu konstruieren, dann, vielleicht, wird er erzählen, aber schließlich zieht er es vor, für die Art eines Tanzes mit wechselnden Rhythmen zu optieren, der eher den Zustand seiner Seele beschreibt, als daß er die Gründe hierfür klarlegt.
Nach dem italianischen Kritiker Massimo Mila spiegelt das musikalische Denken von Alberto Bruni Tedeschi die Strenge unserer Welt aus Stahl und Zement . Eines ist sicher: das sehr intensive Bewußtsein des Komponisten ob der zeitgenössischen Probleme, vermittelt dieser Fantasie einen ganz eigenen Ernst.
So ist dieses Werk in jedem Sinne des Wortes modern: sowohl was die Spiritualität als auch den Inhalt betrifft.
Jacques Bourgeois
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